Silber in England bis 1837

Aus frühen Zeiten gibt es naturgemäß nur sehr wenig "überlebendes" Silber. Von 880 Werken aus der Inventarliste der Schatzkammer von Heinrich VIII existiert nur noch ein einziges: Der Royal Gold Cup im British Museum. Und der ist aus Gold und eigentlich Franzose.

Es gibt eine Inventarliste von 1601 aus Hardwick Hall, einem der großen alten Herrenhäuser in England. Die meisten der dort aufgeführten Möbel und Bilder gibt es heute noch. Von den dort gelisteten Silberwaren existiert kein einziges mehr. Typisch!

3 Hauptgründe gibt es, warum zu allen Zeiten Silber eingeschmolzen wurde:

1) Tafelsilber wurde in schweren Zeiten "versilbert", also zu Münzen umgeschmolzen. Oft auf Anweisung der Herrscher, die ihre Kriegskassen füllen wollten.

2) Die Stücke waren aus der Mode gekommen und wurden zu modernem Tafelsilber umgearbeitet. Die alten Sachen waren vom Design her einfach nicht mehr "En Vogue". Man wollte aber zeigen, dass man sich Silber "nach dem letzten Schrei" (dernier cri) leisten konnten. Die gewählten französischen Begriffe sind kein Zufall: Paris war für die Engländer fast immer das große Vorbild bei Stil und Etikette.

3) Die Zeiten hatten sich einfach geändert. So spielten z.B. Salieren / salts im 16. JH eine große gesellschaftliche Rolle, als Salz noch teuer war. Da stand ein großer Salzbehälter beim Gastgeber und für die Anerkennung war es wichtig, als Gast nicht zu weit "below the salt" zu sitzen. Sonst war man nicht "worth one`s salt". Später stand bei jedem Gast ein kleines Salzschälchen. Noch später nur noch ein Salzstreuer für alle auf dem Tisch.

Somit findet man heute aus der Zeit bis einschließlich 16. JH naturgemäß vor allem Kirchensilber und alte Löffel.

Aus dem 17. Jahrhundert ist die Auswahl auf dem Markt schon ein bisschen größer. Vor allem porringer (Becher mit 2 Henkeln) in allen Größen, tazzas (Tabletts auf Mittelfuß) und tankards (Bierhumpen).

Die Bedeutung von repräsentativen Tafelsilber in früheren Jahrhunderten als Zeichen von Stand und Wohlstand wird wunderbar deutlich durch einen Eintrag in einem der wichtigsten kulturhistorischen Dokumente über das 17. Jahrhundert in London - dem Tagebuch des Samuel Pepys.

Am Abend des Jahres, in dem das "Great Fire" halb London zerstörte und gerade ein Jahr nach der verheerenden Pest, bilanziert er am 31. 12. 1666:

"Die öffentlichen Angelegenheiten in einem höchst traurigen Zustand; die Seeleute durch fehlende Löhnung entmutigt ... kann nächstes Jahr keine Flotte auslaufen. Unsere Feinde, die Franzosen und Holländer, obenauf und werden es noch mehr durch unsere Armut. Das Parlament im Rückstand mit der Gelderhebung ... der Wiederaufbau der City immer weniger wahrscheinlich ... Ein unverbesserlicher, lasterhafter Hof, und alle vernünftigen Männer dort in Angst vor dem Zusammenbruch des ganzen Königreichs im nächsten Jahr, wovor Gott uns bewahren möge!

Etwas Bemerkenswertes an meiner Lage ist, dass ich jetzt so eine Fülle an gutem Tafelsilber habe, dass bei allen Gastlichkeiten ganz auf Silbertellern serviert werden kann, ich habe zweieinhalb Dutzend."

Also: geht die Welt auch unter, genießen wir unser schönes Tafelsilber ;-)

Im späten 17. JH kamen dann die ersten Tee- und Kaffeekannen dazu. Den Tee verdanken die Engländer auch der Ehefrau von Charles II (1660-1685), Katharina von Braganza aus Portugal. Der Legende nach antwortete ihr Mann auf die Bitte nach einer Tasse Tee "We don`t drink tea in England. But maybe some ale will do?"

Da musste sie wohl aktiv werden ...

Englisches Silber und Antiquitäten im Allgemeinen werden gerne sortiert nach den "Dienstzeiten" der Königinnen und Könige. Man spricht also vom Viktorianischen Silber  (1837 - 1901) oder von Edwardian Möbeln (1901 - 1910). Nun hielten sich die Damen und Herren Monarchen mit ihren Regentschaftszeiten und den diese beendenden Todesdaten leider nicht immer genau an die Stilrichtungen, die gerade "in" waren. Deshalb ergänzt man noch Stilrichtungen wie z.B. das erste/französische Rococo von ca. 1735 - 1765 (es gab ein 2. Rococo im 19. JH) oder die Chippendale-Periode bei den Möbeln (ca. 1760 - 1780).

Queen Anne  (1702 - 1714)

war Namensgeber für den sog. Queen Anne Stil - allerdings wird der Begriff verwirrend gebraucht für verschiedene Stilrichtungen zu verschiedenen Zeiten in Architektur und Decorative Arts. Details erspare ich uns hier. Bei Silberwaren wird der Begriff meist dann verwendet, wenn an einem Silberwerk diese "Rippenverzierung" zu finden ist.

In ihre Amtszeit fiel 1707 der Act of Union, der offizielle Zusammenschluss von England und Schottland. Somit war sie die letzte englische Königin und das erste Oberhaupt des United Kingdom, des Vereinigten Königreiches Grossbritannien. Sie starb 1714 im Alter von 49 Jahren als letzte aus der Dynastie der Stuarts, denn trotz 18 Schwangerschaften (!!) mit vielen Fehl-und Totgeburten hinterließ sie keine Nachkommen. Heute unvorstellbar - und das bei Königs!

Man verbindet zwar den "Rippenstil" mit ihrem Namen, aber im Grunde wurde Silber zu ihrer Zeit sehr schlicht gehalten:

Nach ihrem Tod passierte etwas ziemlich skuriles: Die Engländer wollten unbedingt die Thronbesteigung eines Katholiken verhindern. Um einen Protestanten in der Erbfolge zu finden, beriefen sie einen Ausländer auf den Thron, der kaum ein Wort Englisch konnte, nicht in England leben wollte und auf der Thronfolgeliste unter "ferner liefen" (Platz 58) geführt wurde. Das nennt man wohl Pragmatismus ...

Nach ihm, dem Hannoveraner, und seinen Nachfolgern wird das Georgian Silver benannt:

George I  (1714-1727)  

Designtechnischer Höhepunkt dieser Zeit waren sicherlich die hexa- und oktagonalen Arbeiten. Sie sind sehr schwierig auszuführen und brauchen viel Material. Kein Wunder also, dass sich schon bald die runderen Formen durchsetzten.

George II  (1727-1760)

Diese Zeit gilt als eine der Hochzeiten in der Silberkunst. Die letzten "echten" Handarbeiten vor der Industrialisierung, gesponsert von reichen Herren, ausgeführt in den besten Werkstätten, angeführt von nach dem Verdict von Nantes aus Frankreich vertriebenen hugenottischen Handwerkern.

Eingebettet in die Regentschaftszeit von George II war von etwa 1735 bis 1762 die 1. Rococo-Periode, auch "französisches Rococo" genannt. Verzierungen von dezent bis verrückt. Vor allem letztere gefielen nicht jedem und führten zu erbitterten Debatten. 

Zur Mitte des 19. JH hin gab es eine Renaissance des Rococo. Sie sehen auf dem rechten der beiden folgenden Fotos ein selten schönes Exemplar von 1835. Typisch viktorianische Verzierung: symmetrisch, harmonisch. Links daneben ein Detail vom salver von 1747 (abgebildet in Bildergalerie Rococo unten): Das für "französisches Rococo" typische "Chaos" - das Nebeneinander von Muschel (links), geometrischen Einlagen (Mauer mitte) und den kleinen Rosen mit den dichten Blättern.


Im 19. JH wurden viele schlichte Stücke aus dem 18. JH nachträglich verziert. Manche Händler geben dann an "later chased". Viele aber auch nicht. Darauf sollten Sie achten beim Kauf. Erkennt man oft an viel zu großen Blumen mit offenen Blüten.

Aber deshalb kaufen Sie ja im Fachhandel ;-)

Bildergalerie George II und Rococo

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  • 1760 David Bell
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  • 1746 Henry Brind
  • 1767 John Carter London candlesticks
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George III   (1760-1820)

Mit dem Rococo war es spätestens ab 1770 vorbei. Bis etwa 1805 prägte dann der Neoklassizissmus / Adam Style das schlanke Design. (Adam Style nach dem schottischen Architekten Robert Adam). Nicht nur er war inspiriert durch sein Studium in Italien. Seit der Mitte des 18. JH war es für junge Männer aus gutem englischen Hause üblich, zum Abschluss der Studienzeit eine lange Reise zu machen. Diese "Grand Tour" führte meist nach Italien / Südeuropa. Auch die Ausgrabungen von Herculaneum und Pompeji schafften ein Bewußstsein für die Formensprache dieser vergangenen Zeit.

Neoklassizismus beim englischen Silber bedeutet vereinfacht: Aufnahme der Formen und Verzierungen aus der klassischen Antike - von Rom bis Athen. Seien es die Säulen bei den Leuchtern, die Amphoren bei den Kannen oder die Verzierung mit Girlanden. Stilprägend war vor allem der schottische Architekt Robert Adam (1728 - 1792), weshalb für Arbeiten wie auf den folgenden Bildern oft der Begriff Adam-Style auftaucht.

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  • 1783 William Abdy candlesticks 2
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  • 1775 Hancock + Rowbotham


Neben dem Wechsel der Formensprache gab es in den 1770ern noch einen bedeutenden Umschwung in der Welt des Silbers: Die Produktionsmethode!

Dampfmaschinen erlaubten es, Silber zu dünnen Platten zu walzen. Um zum Beispiel den Korpus einer Teekanne herzustellen, mußte dieser nun nicht mehr mit dem Hammer aus der Fläche heraus getrieben werden, sondern man schnitt eine Platte aus, bog diese, lötetet die Enden zusammen, Deckel drauf , Boden drunter und fertig war der Korpus. Schneller, leichter, billiger.

Kerzenleuchter wurden nicht mehr aus viel Material gegossen, sondern aus dünnen Platten gebaut und dann für Stabilität und Standfestigkeit gefüllt mit u.a. Holz oder Pech.

Was sich nun auf den ersten Blick fast schon verwerflich anhört - zumindest aber nach Untergang der englischen Silberkultur - ist zunächst einmal eine ganz normale Entwicklung in allen Industrien. Nicht nur durch eine Reduktion der Teesteuer von 119 % auf 12,5 % im Jahre 1784 (die wurde sowieso größtenteils unterlaufen durch Schmuggel) konnten sich immer breitere Kreise Tee leisten und wollten dazu nun eine erschwinglichere Teekanne.

Erfreulicherweise wurde zunächst ein Teil der gesparten Materialkosten in schöne Verzierungen investiert. Arbeit war billig. Vor allem die Perlenverzierungen an den Rändern, verbunden mit tollen Gravuren der Flächen, aus der Zeit von ca. 1775 bis 1785 gefallen mir.

Von ca. 1785 bis 1795 dominierten die Gravuren ohne Perlenränder. Ganz am Ende des 18. Jahrhunderts wurde es ziemlich schlicht und erst dann gab es die ersten kompletten Teeservice. Bis dahin war es üblich, die Teile einzeln zu kaufen. Nur ganz wenige komplette Service aus der Zeit sind heute noch zusammen.

Bildergalerie George III (1760 - 1820)

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George III war spätestens ab 1810 durch seine Geisteskrankheit nicht mehr in der Lage, sein Amt auszuüben. Deshalb übernahm sein Sohn, der Prinzregent, ab 1810 bis zu seiner eigenen Krönung zu George IV im Jahre 1820 schon einmal die Kasse.

"Der Dicke" liebte das opulente Leben und war auch ein großer Förderer der Silberkunst. Sein Stil schlug gleich voll durchs aufs Design. Man nennt diese Periode "Regency" und ich datiere sie für Silber von 1810 bis 1830.

Bildergalerie George IV (1810 / 1820-1830) und William IV (1830-1837)

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  • 1811 John Robbins
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  • 1817 Edward Edwards salver
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  • 1833 Charles Fox Teedosen
  • 1816 Thomas Watson Sheffield candlesticks
  • 1821 William Edwards tea caddy
  • 1836 Hayne + Carter.
  • Elizabethan Design
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Die Opulenz im Design blieb unter seinem Kurzzeit-Nachfolger William IV (1830-37) erhalten und schwappte auch noch weit in die Regentschaft von Queen Victoria. Siehe dazu bitte im nächsten Kapitel "Ab 1837"

Für alle, die ein bisschen tiefer einsteigen möchten in die Frühzeit des Silbers und mehr wissen möchten zu Georgian Silver und Regency Silver, habe ich hier ein paar weitere

Literaturempfehlungen.

(Vergrößern durch klicken auf Pfeil oben rechts im Bild und dann blättern)

  • ISBN 0952432269
  • ISBN 0670802379
  • ISBN 1555951171
  • ISBN 0946708282
  • ISBN 0571105262
  • ISBN 0907814190
  • ISBN 0571064663
  • ISBN 9780952432296
  • ISBN 9781898565147
  • ISBN 0878463739
  • ISBN 0878464808
  • ISBN 0875871445


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