Grundsätzlich dient eine Punzierung von Silber dazu, den Silbergehalt durch eine offizielle Prüfstelle zu bestätigen. Man kann an der Art der Stempelung auch oft ablesen, wann gestempelt wurde. Zumindest ungefähr. Und wo. Wenn dazu noch Hinweise über die Herstellerwerkstatt oder zumindest über den Vertriebshändler gegeben werden, umso besser. Da gibt es von Land zu Land aber große Unterschiede!
Nirgendwo auf der Welt wird auch nur ansatzweise so kontrolliert und so penibel gepunzt wie in England. Das ist dort eine richtig ernste Angelegenheit seit über 700 Jahren. Verfehlungen oder gar Fälschungen waren immer und sind heute noch hoch strafbewehrt.
Anderswo ist das anders. Aus China kaufe ich gar nichts und schon im pingeligen Deutschland kann jeder Silberschmied selbst nach Prüfung stempeln. Jahresangaben gibt es hier praktisch nicht. Man kann nur an der Art der Stempel z.B. sagen, ob etwas vor oder nach 1886 gestempelt wurde.
Andere Länder liegen irgendwo dazwischen.
Man muss daraus keine Wissenschaft machen und das tun wir auf dem Kontinent ja auch nicht. Das merkt man schon am Gestammel der Händler und sog. Experten bei "Bares für Rares" zum Thema.
Wir leben damit, dass man eine Silberkanne aus Deutschland so "ungefähr um 1900 herum" datieren kann. Aber wehe, auf einer Kanne aus England ist mal der Jahresbuchstabe für 1897 nicht mehr richtig lesbar ...
Die genaue Punzierung in England erlaubt eine klare zeitliche Einordnungen und gibt sogar Einblicke in gesellschaftliche Entwicklungen. Außerdem beruhigt sie. Das Thema "Fälschungen" kann man im Grunde vernachlässigen. Gerade deshalb ist jeder der wenigen ernstzunehmenden Fälle in der langen Geschichte englischen Silbers dort bestens dokumentiert und immer ein Riesenzirkus. Dazu unten mehr.
Zunächst einmal eine Erklärung der englischen Punzen. Sie sehen hier das Prinzip der Punzierung, wie es seit 1544 unverändert gilt (bis auf die kleine Britannia-Silver-Periode 1697-1720).
Beginnen wir mit den 4 Stempeln in Reihe. Die darf nicht der Hersteller stempeln (oder heute lasern)! Jedes Teil muss physisch einem sog. Assay Office vorgelegt werden; sozusagen dem TÜV. Dort wird die Legierung geprüft und in unserem Fall durch den schreitenden Löwen dokumentiert, dass tatsächlich 925er Silber vorgelegt wurde. Und zwar im Assay Office London. Das erkennt man am gekrönten Leopardenkopf. Auch wenn der eher aussieht wie Jupp aus dem 11er-Rat.
Es gibt aktuell noch weitere Assay Offices in Sheffield (Krone), Birmingham (Anker), Edinburgh (Burg) und Dublin (Hibernia). Früher gab es noch etliche Offices in der Provinz.
Provinzielles Silber ist ein beliebtes Sammelgebiet. Ein gutes Buch zum Thema:
Das 3. Zeichen in Reihe ist der Jahresbuchstabe. Das O in genau dieser Form und Schrift und mit genau diesem Schild gibt das Jahr der Stempelung an - London, 1789. Alle Jahresmarken sind in diesem kleinen Taschenbuch.
Das Jahr beginnt aber erst seit 1975 immer am 1. Januar. Bis dahin wechselte die Jahrespunze am Jahrestag des Schutzpatrons der Gold- und Silberschmiede, St. Duncan. Also am 19. Mai bzw. nach der Reformation 1660 am 29. Mai. Ein Buchstabe bezeichnete deshalb Teile von 2 Jahren.
Die Marke ganz rechts ist eine Steuermarke. Der Kopf des amtierenden Königs, hier George III. Steuermarken gab es oft, aber nicht immer. In der "Neuzeit" vor allem 1784 bis 1890.
Ganz links, etwas abgesetzt, sehen Sie die bei der Innung eingetragene und dokumentierte
Meistermarke (von Moses Brent).
Für den "Alltag" finden Sie die Meistermarken hier: http://www.silvermakersmarks.co.uk/index.htm
Die alten Meistermarken sind gelistet im Klassiker, dem "Grimwade".
Vor 1697 wurden Meistermarken nicht systematisch erfasst, lesen Sie dazu auch den Text aus dem Grimwade auf dem Foto oben.
Die masters mark durfte der "Meister" selbst stempeln. Meistermarken zeigen, wer die Verantwortung übernimmt. Nicht unbedingt, wer das gute Stück geschmiedet hat. Das kann durchaus der Geselle oder ein anderer beschäftigter Arbeiter gewesen sein. Oder das Stück wurde sogar zugekauft. Die Arbeitsteilung im Silberhandwerk hat sich seit der Mitte des 18. JH entwickelt wie in jeder anderen Branche auch.
Deshalb wird die Meistermarke auch manchmal "Sponsors Mark" genannt.
Die Meisterwerke von Paul de Lamerie oder Paul Storr entstanden nicht, weil das geniale Silberschmiede waren, die in dunkler Werkstatt bei Kerzenlicht zauberten. Ihre Leistung bestand vielmehr darin, die besten Ideen zu sammeln, die interne und externe Umsetzung durch die besten Fachkräfte zu organisieren, damit den Geschmack zahlungskräftiger Kunden zu treffen und durch deren Acquise den Absatz zu ermöglichen. Erfolgreiches Management eines mittelständischen Unternehmens also.
Man sollte die Meistermarken deshalb nicht überbewerten. Natürlich garantieren einige Firmenstempel immer gute Qualität. Auch noch im 19. und 20. Jahrhundert. Die großen Handelshäuser wie z.B. Hoflieferant Garrard oder Luxusmarken wie Asprey kauften und vertrieben nur gute Ware.
Auf altem englischem Silber erkennt man auf der Unterseite recht häufig eine etwas hellere Stelle, an der hauchdünn die Probe für Feststellung der Legierung abgekratzt wurde. Diese scratch mark ist vergleichbar mit dem Trimulierstrich in unseren Breitengraden. Heute wird die Prüfung elektronisch vorgenommen mit einem sog. X-Ray Flourescence Spectroscopy (XRF).
Außerdem findet man manchmal eine Folge von Ziffern (in dem Beispiel unten zusätzlich mit Buchstaben), die das sog. scratch weight (Kratz-Gewicht) angeben. Also das Silbergewicht zum Zeitpunkt der Probenprüfung.
Das Gewicht wird angegeben in Feinunzen (OZ Troy) und Pennyweight (dwt). Hier 7 oz und 16 dwt.
Gemeint ist die Fein-Unze (troy-ounze), also 31,1 Gramm. Die "normale" Unze sind nur 28 Gramm. Speziell Händler aus den USA ignorien schon mal den Unterschied zu Ihren Gunsten. Aber das sind ja grundsätzlich auch alles andere als Hanseatischen Kaufleute ...
Vergleichen Sie das scratch weight mit dem heutigen Gewicht (immer ggf. abzüglich Holzgriff u.s.w) und Sie wissen, wie stark der Abrieb durch Nutzung und Polituren war über die Jahrhunderte.
Oben schrieb ich, man könne das Thema Fälschungen bei Silber von den Britischen Inseln im Grunde vernachlässigen. Trotzdem widme ich ihm hier ein Kapitel.
Um erst einmal den Begriff zu schärfen: Kannen wurden nachträglich verziert, wenn Schnörkel plötzlich in Mode kamen. Oder an einen Becher wurde ein Ausguss angelötet. Solche und ähnlich nachträglich Veränderungen an Silberwaren mögen geschmacklos sein, sind aber keine Fälschungen, mit denen man jemanden betrügen wollte.
Ich erwähnte auch schon, dass in England schon seit dem 14. Jahrhundert sehr streng auf ordnungsgemäße Punzierung geachtet wird, um den Betrug mit zu niedrigen Legierungen zu unterbinden. So kann man sicher sein, auch die angegebene Menge an Silber zu erhalten.
Erst seit dem frühen 19. JH müssen alle abnehmbaren Teile eines Silberwerkes einzeln gepunzt werden. Davor reichte die Punzierung an einer Stelle. Bei einer viktorianischen Teekanne z.B. müssen also Korpus, Deckel, Griff und Krone gepunzt sein - wenn sie aus Silber sind.
Es ist z.B. folgender Fall aus der Mitte des 19. JH dokumentiert:
Ein junger Silberschmied lieferte eine ordnungsgemäß punzierte Kanne aus. Dem Kunden gefiel der Griff nicht. Der Schmied schmolz ihn ein, machte aus der exakt gleichen Menge Silber einen neuen Griff, ließ diesen aber nicht mehr extra punzieren. Strafe: 50 Pfund. Ein Vermögen damals!
Man darf sich bei aller "Fürsorgepflicht" der Behörden nicht darüber hinweg täuschen lassen, dass eine ordnungsgemäße Punzierung auch der Erhebung von Steuern und Abgaben dient(e). Womit wir schon ein wunderbares Argument für Schummeleien haben - wenn ich steueroptimiertes Verhalten mal so nennen darf.
Auch, um es abzugrenzen gegen Betrugsabsichten gegenüber potentiellen Käufern. Bei solchen geht es fast immer darum, ein neues Stück Silber durch die Fälschung der Punzen älter zu machen - um den Preis zu steigern. Oder man versucht ein Stück Silber den Herren Lamerie oder Storr zuzuschreiben, wodurch der Preis ebenfalls deutlich steigt.
Das kam / kommt aber sehr selten vor!
Am gefährdetsten sind eindeutig Sammler von ganz alten hochpreisigen Löffeln. Da wurden aus alten schlichten Löffeln schon mal Apostel-Löffel durch ansetzen der Apostelfigur.
Grundsätzlich sind Fälschungen von altem Silber extrem aufwändig. Man kann ja nicht einfach einen neuen Löffel schmieden und dann selbstgebastelte Stempel rein machen. Das Silber muss "aus der Zeit sein" (siehe auch Test der Schale aus Dublin ganz unten auf dieser Seite) Der Stil muss passen. Dazu der altersgemäße Erhaltungsszustand. Die Stempel müssen genau den alten Vorlagen entsprechen. Das alles soll ja erfahrene Sammler täuschen, die außerdem noch ein Netzwerk von Spezialisten haben.
Womit wir auch schon beim aus meiner Sicht wichtigsten Motiv dieser Scharlatane sind: Sportlicher Ehrgeiz! Es gibt ja nicht viele Fälle, aber der hier ist interessant. (Bei Interesse über grünen link öffnen)
Information on the case relating to Peter Ashley-Russell
Ashley-Russel ist ein notorischer Fälscher, der nie nennenswert Geld damit verdient und stattdessen viel Zeit im Knast verbracht hat - was in England früher oder später so sicher war und ist, wie das Amen in der Kirche.
Zurück zur Steuervermeidung: Im 18. Jahrhundert ging es auch darum, den weiten Weg zum Assay Office zu sparen. Das Reisen mit Silber über Land war alles andere als sicher. Angenehm auch nicht und sehr zeitaufwändig. Warum also mit einem Stück Silber, das ein Kunde so aus dem Laden kauft (oder sogar so in Auftrag gegeben hat) erst um die halbe Welt fahren und auch noch Steuern und Gebühren bezahlen?
Dann machte der Schmied einfach 3 x seine makers mark rein und fertig war die Laube. Den Kunden wird es nicht gestört haben. (Bis 1697 war das sogar absolut legal bei Kommissionswaren.) Einen solchen Schmied bzw. sein verwerfliches Tun nennt man Duty Dodger/dodging.
Die makers mark reicht heute meist aus, um das so gepunzte Stück zeitlich einordnen zu können. Man weiß ja i.d.R., wann diese registriert wurde.
Möchten Sie tiefer einsteigen, dann finden Sie hier einen längeren Artikel zum Thema: http://www.ascasonline.org/articoloDICEM121.html
Ein notorischer Duty Dodger war John Newton, ein Spezialist für Teedosen. Man findet etliche Stücke, die er nur mit seinen Meistermarken gestempelt hat. (Sein markantes Herz-Zeichen wurde am 4. 4. 1726 eingetragen) Genauer gesagt, findet man von ihm fast nur steueroptimierte Stücke. Gerne hat er nur den leichten ausziehbaren Boden gestempelt. Wir erinnern uns: im 18. JH musste noch nicht jedes Einzelteil gepunzt werden. Und die Gebühren wurden nach Gewicht berechnet!
Das erfreuliche an Duty Dodger Stücken ist ein recht günstiger Preis, da sich der hochpreisige Londoner Einzelhandel, wenn auch oft eher widerwillig, aus "politischen Gründen" meistens raus hält. Im Gegensatz zu den Auktionshäusern - wie z. B. Sotheby`s (siehe Bilder).
Es gab wohl auch den Trick, in ein neues schweres Stück die ausgeschnittenen Punzen aus einem leichten Stück einzuarbeiten. Dieses leichte Stück hatte man sich ordnungsgemäß punzieren lassen. Beliebt wurde diese Methode der Steuervermeidung nach der Einführung einer Steuer von 6 pence auf jede Unze verarbeitetes Silber im Jahre 1720. Und der berühmte Paul DeLamerie war da ganz vorne mit dabei.
1973 wurde in England mal wieder ein aktualisierter Hallmarking Act erlassen. Diese aktuelle gesetzliche Zusammenfassung der seit Jahrhunderten bestehenden Regeln und Erlasse zur Punzierung von Silber und anderen Wertmetallen ist ja nur sinnvoll und steht in einer langen Tradition.
Aber was macht man heute mit den duty dodgern von vor 300 Jahren?
Man kennzeichnet sie. Mit einer Verwaltungsnummer. Und x-t die alten hallmarks aus. Wenn die "Polizei" sie findet. So durchstreifen Kontrolleure im Vorfeld von Auktionen die Ausstellung und fordern die Auktionshäuser bei Verdacht auf, die Stücke aus der Auktion zu nehmen und zunächst dem Assay Office zur Prüfung vorzulegen.
So geschah es auch bei dieser Kaffeekanne:
Der Vorwurf: (ich habe den email-Schriftverkehr von Bonhams)
Nicht, dass die Kannen in irgendeiner Weise eine Fälschung sei. Nein, die Kanne ist von Paul Crespin und aus der Zeit. Da passt alles: Design, Größe, Farbe, Zustand, zeitgenössisches Wappen der Familie Crips, deren Monument in der St. Mary`s Church in Wingham, Kent steht.
Aber der gute Paul hätte sich der oben beschriebenen Methode des duty dodging bedient und aus einem kleineren versteuerten Stück die Punzen in den Boden der Kanne eingebaut. Man kann zwar überhaupt keine Naht erkennen, aber die Punzen lägen ein wenig zu nah beeinander und ließen Rückschlüsse zu auf eine vormals kleinere Fläche. Aha ... ok.
Im Ergebnis hat man die Punzen durchkreuzt und eine Verwaltungsnummer LAO8956 eingeschlagen. Danach war der Verkauf auch in England wieder legal. Ochtnung muss sein!
Zusammengefaßt kann man sagen: Gegen Duty Dodger aus dem frühen 18. JH ist gar nichts zu sagen. Die finden sich in praktisch jeder Sammlung frühen Silbers. Nur, dass sie heute zunehmend Verwaltungsstempel bekommen. Es gibt halt immer die Neigung, lange vergangenes Tun (auch selbstgerecht moralisch) nach den heutigen Standards zu beurteilen. So war es im 18. JH ja gar nicht ungesetzlich, nicht alle Teile gesondert zu punzen. Aber heute bekommt natürlich jedes Einzelteil seine Verwaltungsnummer.
Nicht, dass sich noch eines diskriminiert fühlt ....
Wie akademisch die Diskussion hier im Grunde ist, erkennt man daran, dass im heute so überregulierten Deutschland noch vor 140 Jahren jeder punzen konnte, was er wollte. (Siehe Hanau Pseudo Marks)
Und wir bis heute keinen date letter haben. Geschweige denn ein Assay Office!
Ein Bonner Auktionshaus bot vor gar nicht langer Zeit eine Kaffeekanne an mit "London 1725, Samuel Margas". Auf Nachfrage bekam ich allen Ernstes diese Bilder von den Punzen! Und der Stand stellte sich als versilbert heraus, 20. Jahrhundert. Sein Gewicht wurde vom Auktionshaus aber bei der Angabe des Silbergewichts dazu addiert. Mein Hinweis auf die offensichtliche Fälschung und zusätzlich falsche Gewichtsangabe wurde einfach ignoriert. Die Kanne wurde versteigert.
So ein plumper Fall von Fälschung ist weder mir noch den meisten Kollegen bisher untergekommen. Der gehört eigentlich in jede Sammlung :-)
Auf keinen Fall mit Fälschungen gleich setzen darf man Reproduktionen. Also die Neuauflage nach alten Designvorlagen. Käme heute der Mini-Rock wieder in Mode, wäre das ja auch keine Fälschung zu Lasten von Mary Quant. Und die hat ihn ja wohl auch nur aus dem Zarewitsch von Lehár "geklaut".
Alles nach dem Motto "Lieber gut geklaut, als schlecht selbst gemacht".
Wer zum Beispiel ein Original Kaffee-und Teeservice haben möchte im Design des frühen 18. Jahrhunderts, hat keine Chance. Damals wurden keine Service gefertigt. Nur Einzelteile. Die ersten kompletten Service kamen erst ganz am Ende des Jahrhunderts auf.
Also bleibt gar nichts anderes übrig, als ein Service z.B. von Robert Comyns aus der Mitte des 20. JH zu kaufen im Design "nach Paul de Lamerie". Top-Qualität. Nichts gegen einzuwenden.
Tolle Arbeiten lieferten die Royal Irish Silversmiths aus Dublin in den 1960er und 70er Jahren!
Silber aus Irland ist selten. Vor allem altes Silber!
Das überrascht nicht wirklich, ist Irland doch ein recht kleines Land und schwankte die Einwohnerzahl immer nur um 1/10 Englands herum.
Das katholische Irland war (auch als potentieller Partner Spaniens, des katholischen Erzfeindes der Engländer) über Jahrhunderte eine unruhige, fremdbestimmte und unterdrückte Eroberung der Engländer. Deren meist rücksichtslose Herrschaft trug dazu bei, die Einwohnerzahl Irlands zwischen 1820 und dem Jahr der Unabhängigkeit 1920/21 etwa zu halbieren, von rund 6 auf rund 3 Mio.
Viele Iren verhungerten oder verließen ihre Heimat, um sich z. B. in den USA eine neue Existenz aufzubauen.
Eine ordentliche Punzierung von Silber startete in Irland überhaupt erst 1638 mit der gekrönten Harfe (crowned harp) für die 925er Legierung, einer Meistermarke (makers mark) und einem Jahresbuchstaben (date letter).
Heute sind nur rund 185 Stücke aus der Zeit zwischen 1600 und 1650 erhalten – davon gerade einmal 16 mit Punzen! Das hat wohl auch damit zu tun, dass 1643 zur Bezahlung von Soldaten alle Dubliner ihr Tafelsilber zur staatlichen Münze bringen mussten. Solche „Versilberungen“ von Tafelsilber, sei es privat oder staatlich verordnet, hat es zu allen Zeiten gegeben. Zuletzt vor weniger als 10 Jahren, als der Silberpreis kurzfristig spekulativ durch die Decke ging. Und auch aktuell (Okt 2024) wieder - nicht verwunderlich bei 1 US-Dollar pro Gramm.
Ab 1730 kam dann die allseits beliebte Steuermarke dazu – ein poetisches Bild der sitzenden Hibernia mit Harfe.
Frühe irische Punzen sind schon eine Wissenschaft für sich und bei weitem nicht so genau dokumentiert wie in London. So galten Jahresbuchstaben schon mal für mehrere Jahre, die Form der Harfe änderte sich oft und es liefen auch mal Formen parallel. Stücke aus der Mitte des 18. JH haben oft keinen date letter (und man weiß nicht einmal sicher, warum!) Aus der Zeit vor 1784 hat man zwar die Buchstaben der makers mark auf Metallplatten erfasst und im Assay Office ausgehangen, nicht aber den dazu gehörigen Klarnamen. Wobei langjährig aktive Master, wie auch etwa in London, mehrere Marken eintragen ließen. Was bei der zeitlichen Einteilung ihrer Stücke manchmal hilft.
Ich finde diese im Vergleich zu London verständlicherweise leicht chaotische (aber bei Missachtung empfindlich strafbewehrte) Punzierung immer noch wertvoller (weil zentral gesteuert) als die in unseren Breitengraden übliche. Gucken Sie sich nur die vielen weißen Flecken alleine beim hocherforschten Augsburger Silber an ...
In den letzten Jahrzehnten hat man viele Rätsel entschlüsselt und einiges an Literatur steht zur Verfügung:
Für altes Silber aus Irland werden hohe Preise gezahlt. Der preisliche Aufschlag gegenüber Londoner Silberwaren ist umso größer, je älter ein Stück ist. So gesehen könnte es schon reizvoll sein, eine alte Londoner Schale umzustempeln und sie für Dublin auszugeben.
Es sei mal vorab erwähnt, dass Peter Ashley-Russell (s.o.) offensichtlich nicht ein einziges Stück aus Dublin in Angriff genommen hat.
Da ein fast schon neurotisch misstrauischer Herr aus Irland die folgende Schale als „Fälschung“ bezeichnet hat (allerdings ohne jeden schlüssigen Beleg) beschloss ich, mal intensiv zu recherchieren.
15,5 cm Durchmesser, 10 cm hoch, 422 Gramm
Ich finde diese Stempel in den beiden oben gezeigten Büchern, im Jacksons, auf einem Exemplar von John King in der Collection at the Sterling and Francine Clark Art Institute, auf einer Kaffeekanne von 1706 und anderswo.
Ein und derselbe Jahresbuchstabe scheint in der Literatur in leicht verschiedenen Formen zu existieren. Und das shield ist mal ein bisschen mehr geschwungen und mal weniger. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass für die Literatur nur Fotos von existierenden Stücke zur Verfügung stehen, die Punzen also alle unterschiedlich geschlagen und abgenutzt sind. Denn es sind keinerlei Aufzeichnungen des Dubliner Assay Offices mit den Jahresbuchstaben erhalten.
Zurück zu dem Vorwurf eines einzelnen "Experten", die Schale oben sei gefälscht:
Ich habe dann die Schale zu einer fast schon "heiligen Institution" zur Prüfung geschickt und sie beim Assay Office der Goldsmiths Company (Innung) in London einem spektrografischen Verfahren unterziehen lassen.
Dabei wurde klar belegt, dass das verwendete Silber für alle 3 Teile der Schale mit einer über 90%igen Wahrscheinlichkeit aus der Zeit vor 1700 stammt. Also alt genug ist für eine Schale, die 1708/09 gepunzt wurde.
Außerdem ist die Legierung 925er Silber.
Klar, theoretisch kann es sein, dass jemand
- eine alte Londoner Schale aus uraltem 925er Silber nimmt,
- dann aus diesem alten Silber einen neuen Boden fertigt und diesen NAHTLOS! einsetzt,
- dann den Standring anlötet und dem Lötsilber die passende Optik / Farbe verpasst,
- dann 3 aufwändige Stempel fertigt für John King, Dublin und 1708/09
- wenn alles gut geht, bekommt er für den Aufwand von einem arglosen (oder überehrgeizigen) Sammler ein paar Tausend Euro - immer mit dem Risiko, in den Knast zu gehen. Da verstehen weder Engländer noch Iren Spaß.
Leuchtet mir jedenfalls nicht ein. Zumal an dieser Theorie noch ein weiterer Haken ist aus meiner Sicht:
Wie die Analyse gezeigt hat, ist die Schale komplett aus 925er Silber. Der Standard in London von 1697 – 1720 war aber 958er Britannia Silber! In Dublin dagegen durchgängig 925er.
Von vor 1697 finden sich diese Art Schalen nicht. Ein Fälscher müsste also eine Londoner Schale von nach 1720 genommen haben. Londoner Sterling Schalen nach 1720, die ich in der Literatur oder auf dem Markt finde, haben aber schon einen Fuß. Hier ein Beispiel:
https://www.acsilver.co.uk/shop/pc/Sterling-Silver-Bowl-Antique-George-I-41p8522.htm
Flach auf einem Ring wie meine Schale stehen nur die älteren Londoner Schalen (die ja dann 958er sein müßten) – und bis weit ins 18. JH hinein die Iren!
Zum Beispiel zu sehen bei dieser Schale aus Dublin, 1713/14 auf Seite 105 in dem schon oben erwähnten Buch über die Clarke-Sammlung.
Ich habe also keinen Grund, ernsthaft an der Authentizität der Schale zu zweifeln.
Die Schale trägt außerdem ein schönes Wappen der Familien French und Caulfield (Zertifikat liegt vor!)
Anläßlich der Hochzeit von William John French (28.12.1812 - 24.12.1876) of Ardsallagh, Navin im County of Meath und Harriet Anna Caulfield (gest. 27.2.1890), Tochter von James Caulfield of Drumcaire im County Tyrone und Enkelin des 2. Baron of Mote Park im County Roscommon. Die Hochzeit fand statt am 24. Juni 1837. William diente im Jahre 1862 als High Sheriff of Dublin.
Irischer kann ein Wappen kaum sein!
Und bevor jetzt jemand auf die Überlegung kommt, dann könnte die Schale ja auch erst 1837 gefertigt worden sein: Weder Stil noch Form waren da üblich. Dagegen die Gravur eines Hochzeitwappens auf einem alten Stück, dass entweder schon im Familienbesitz war oder ein Geschenk zur Hochzeit, durchaus!
Warum wohl liefert der Betrüger sie bei einem deutschen Auktionshaus ein und nicht bei Fachleuten?
Immerhin ist der Preis recht günstig und offensichtlich ohne großem Paul-Storr-Aufschlag. Klar, die Profis haben nicht mitgeboten und der Käufer glaubt jetzt wahrscheinlich, er habe ein Schnäppchen gemacht.